Tagung 2016: Rechte der Natur in Ökonomie und Organisation

Siegen: Umweltpioniere diskutieren Rechte der Natur

„Mir war schon bewusst, dass  Sie für die Umweltökonomie wichtig waren. Aber mir war nicht bewusst in welchem Umfang!“  Prof. Dr. Peter Krebs, Prodekan für Forschung und Lehre der Fakultät III der Universität Siegen,  war sichtlich beindruckt von der Lebensleistung von Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Seidel. In dem Grußwort der Universität Siegen würdigte Krebs Eberhard Seidel ausführlich und hob dessen Vorreiterrolle hervor: „Bereits 1980 haben Sie sich mit betrieblichem Umweltmanagement  beschäftigt. Das war das Jahr, in dem die Grünen in den Bundestag gewählt wurden.“ 

Mehr als 60 Gäste aus Wissenschaft und Lehre, folgten am 6. Mai der Einladung zur Teilnahme am Symposium „Rechte der Natur / Biokratie in Ökonomie und Organisation“.

Das Symposium wurde anlässlich des 80. Geburtstages von Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Seidel  in Siegen ausgerichtet.

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Biokratie als Teil der Selbstrettung des Menschen
Dr. Georg Winter, Unternehmer und Wegbereiter des betrieblichen Umweltmanagements, würdigte Seidel anschließend als wichtigen Wegbegleiter und schlug inhaltlich die Brücke zum Thema Rechte der Natur/Biokratie. Winter kritisierte das „Drei Säulen Konzept“ der nachhaltige Entwicklung als einen Irrweg. Die Natur sei eben nicht eine Säule von Dreien, sondern das Fundament – die Voraussetzung -  jeglichen dauerhaften Wirtschaftens. Damit die Natur den Rang
erhalte, der ihr zustehe, müssten sich die westlichen Demokratien weiter entwickeln und Biokratien werden, die allen Lebewesen ein Recht auf Leben zugestehen. „Biokratie“, so Winter weiter, „ist Teil der Selbstrettung des Menschen. Ohne Anerkennung der Rechte der Natur können auch die Menschenrechte nicht dauerhaft gewährleistet werden.“

Anspruchsloser leben und wirtschaften
Theo Gottwald, Vorstand der Schweisfurth-Stiftung, Autor zahlreicher Veröffentlichungen und Lehrbeauftragter in Berlin und München, würdigte anschließend die Lebensleistung von Prof. Eberhard Seidel. Im Namen der Schweisfurth-Stiftung für nachhaltige Agrar- und Ernährungswirtschaft München übergab er Prof. Seidel als Dank und Anerkennung für „fast 30 Jahre Weggemeinschaft“ eine hoch dotierte Auszeichnung. Gottwald: „Sie sind ein Pionier. Das ist wissenschaftlich belegt. Ihre Arbeiten zum Ökocontrolling haben uns geholfen die Frage zu klären, wie wir die Abzinsung von Naturkapital mit betriebswirtschaftlichen Instrumenten darstellen können. Mit ihren weltweiten Vorträgen haben sie die Bedeutung des Umweltmanagements bis nach China, Canada und Japan getragen.“ Und weiter: „Wir müssen begreifen, dass wir Teil der Natur sind. Und wir sollten anerkennen, dass wir die Natur nicht besser verstehen können, als die Evolution und deshalb alle mit einander gut beraten sind, vorsichtiger und anspruchsloser auf diesem Planeten zu leben und zu wirtschaften.“

Nachhaltigkeit ist unser Schicksal
In den nachfolgenden Fachvorträgen standen dann die Themen Rechte der Natur und Biokratie im Zentrum. Prof. Zabel betrachtete den Zusammenhang zwischen den Erkenntnissen der Verhaltensforschung und dem Umgang westlicher Gesellschaften mit der Natur. Das Ludwig Erhard zugesprochene Bonmot „Wirtschaft ist unser Schicksal“ müsse heute zu „Nachhaltigkeit ist unser Schicksal“ weiterentwickelt werden. Die Verankerung der Rechte der Natur in der Verfassung oder ihre Durchsetzung durch andere Rechtsinstrumente sei deshalb so wichtig, weil der Mensch nicht mit den Instinkten, Reflexen oder  Sinnen ausgestattet sei, die ihn davor bewahrten, seine eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören.  Zabel: „Egoismusbegrenzung  findet in unseren Systemen nicht mehr statt. Wir sind genetisch fehlgesteuert.    Der Gruppenbezug ist zu dominant und führt zu Verhaltensweisen die unsozial sind.  Trial und Error geht aber nicht, sondern führt uns in den Abgrund.  Es gibt in allen Populationen immer 20% Hasardeure die alles ausprobieren und extreme Risiken eingehen. Leider sind es genau diese Hasardeure, die heute die Macht und das Sagen haben. Deshalb haben wir auch so viele Technologien eingeführt, die man nicht eingeführt hätte, wenn man vorher ein wenig länger nachgedacht hätte.“

Natur endlich so erkennen, wie sie von sich aus ist
Mit seiner Kritik an der Naturvergessenheit der Ökonomie – setzte Prof. Eberhard K. Seifert grundlegende, philosophische Fragen auf die Tagesordnung und verwies unter anderem auf Arbeiten von Georg Picht, der in seinen Schriften zu dem ernüchternden Befund kam, dass die neuzeitliche Naturerkenntnis die Natur zerstört (zerstören muss), „weil sie die Natur nicht so erkennt, wie sie von sich aus ist.“

Wir brauchen eine biophile Wirtschaftsweise und –theorie
Prof. Ralf Isenmann von der Hochschule München, beschäftigte sich in seinem Vortrag mit den Grundzügen einer anderen, biophilen Ökonomie, die in der Natur nicht einfach nur einen Sack von Ressourcen sieht, dessen Verfügbarkeit als Voraussetzung gar nicht erst thematisiert wird. Er erinnerte daran, dass es schon viel früher, mit den Physiokraten Wirtschaftstheoretiker gab, die davon ausgingen, dass nur die Natur produktiv ist. Die Neoklassische Theorie sei hingegen individuell und anthropozentrisch. Isenmann: „Die Lebensdienlichkeit der Ökonomie ist uns abhandengekommen. Mutter Natur ist nicht mehr in der Lage alles wegzustecken. Deshalb brauchen wir eine biophile, also lebensfreundliche,  lebenserhaltende und vielleicht sogar lebenssteigernde Wirtschaftsweise und –theorie.“

Konkurrierende Lösungen fördern ist rational
Prof. Thomas Göllinger, Hochschule Konstanz und Universität Siegen, führte in seinem Vortrag aus, dass die Problemen von heute das Ergebnis der Innovationen von Gestern sind und dass die Innovationen von Heute zwangsläufig die Probleme von Morgen mit sich bringen werden. Alle drei Strategien, die zur Bewältigung der ökologischen Herausforderungen im Gespräch seien, (Effizienz, Konsistenz, Suffizienz) hätten heute ihre Berechtigung. Angesichts der vielen Unsicherheiten mit denen Innovationen zwangsläufig verbunden seien, sei es am besten und rational auch konkurrierende Lösungsstrategien zu fördern.

Last but not least übergab Dr. Georg Winter Prof. Erhard Seidel als Dank für die jahrzehntelange Zusammenarbeit ein sehr persönliches Geschenk: Eine reich mit Wappen verzierte Zinnkanne, deren Form ihn sofort an einen Seidel erinnert habe.

Inhaltliche Schwerpunkte des zweiten Symposiums

Auf der zweiten Tagung der Biokratie stehen folgende Aspekte im Vordergrund:

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Prof. Dr. Eberhard Seidel – Pionier und Vordenker einer nachhaltigen Betriebswirtschaftslehre
Die Tagung wird den 80sten Geburtstag von Prof. Dr. Eberhard Seidel zum Anlass nehmen, dessen Bedeutung für die Begründung einer nachhaltigkeitsorientierten Betriebswirtschaftslehre zu würdigen. Prof. Dr. Eberhard Seidel hat als erster Lehrstuhlinhaber in Deutschland bereits in den frühen 80er Jahren die Bedeutung des Themas erkannt und diese Disziplin in Deutschland begründet. Und er ist bis heute einer der Motoren dieser stetig wachsenden wissenschaftlichen Community.

Prof. Dr. Eberhard Seifert „Die Naturvergessenheit muss überwunden werden.“
Dr. Eberhard K. Seifert ist Professor hon. an der Wirtschaftsuniversität Wien, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Warenkunde und Technologie (DGWT-Organ: Forum Ware) und Mitglied der internationalen IGWT, in nationalen und internationalen Forschungsinstitutionen und -gremien führend tätig, darunter auch in der Vereinigung für Nachhaltige Unternehmensführung (VNU). Er ist einer der wenigen wissenschaftlichen Experten im Bereich der (inter-)nationalen globalen Normierung und Standardisierung für umwelt- und nachhaltigkeitspolitische Ziele und insbesondere dazu ein langjähriger Weggefährte von Georg Winter. Seifert wird in Siegen vor allem begründungstheoretische Fragen und Möglichkeiten einer ‚Biokratie’ aufwerfen, die eine Überwindung der Naturvergessenheit auch der Wirtschaftswissenschaften erfordert. Die Wirtschafts- und Unternehmenspraxis basiert v.a. auf dem Stoffwechsel mit der Natur und hat weitreichende Folgen für die Natur, die eigene Zukunftsfähigkeit und das Überleben der Menschheit.

Prof. Dr. Hans-Ulrich Zabel: „Nachhaltigkeit ist unser Schicksal“
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rof. Dr. Hans-Ulrich Zabel ist seit 1995 Inhaber der Stiftungsprofessur „Betriebswirtschaftslehre - Betriebliches Umweltmanagement“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Zabel beschäftigt sich mit den Umsetzungsbedingungen des -„Rechte der Natur/ Biokratie“ – Konzeptes. Er geht davon aus, dass es nicht in der Natur des Menschen liegt, andere Lebewesen „um ihrer selbst willen“ zu schützen und dass eine Umsetzung der Rechte der Natur in unser parlamentarisches System schwierig ist. Zabel plädiert deshalb eher für einen „Lebensraumschutz“. Er untersucht vor allem die verhaltensbezogenen Möglichkeiten zur Umsetzung dieses Lebensraumschutzes sowie der damit korrespondierenden allgemeineren Wahrnehmung sozialer und ökologischer Verantwortung im Nachhaltigkeitskontext. Als Wirtschaftstyp wird dabei eine sonnenenergiebasierte Kreislaufwirtschaft und als Wirtschaftsform die öko-soziale Marktwirtschaft propagiert.

Prof. Dr. Thomas Göllinger: Wir brauchen integrierte, systemische und evolutorische Strategien. Unterkomplexe und populistische Nachhaltigkeitskonzepte führen uns in die Irre.“
Prof. Dr. Thomas Göllinger ist Professor an der Hochschule Konstanz und Privatdozent an der Universität Siegen. Er wirkte viele Jahre als Vorstand des Instituts für ökologische Betriebswirtschaft (IÖB) an der Universität Siegen. Seine vielfältigen theoretisch-konzeptionellen und strategischen Arbeiten über Nachhaltigkeit integrieren evolutionstheoretische und systemische Ansätze. Wie Frederic Vester ist er der Überzeugung, dass lineare Konzepte und Modelle zu kurz greifen und nur hinreichend komplexe und dynamische Modelle Wege in die Zukunft weisen. In seinem Vortrag in Siegen wird er begründen, warum Effizienz, Konsistenz und Suffizienz zwar zu Recht als Strategie-Optionen der Zukunftsfähigkeit angesehen werden, aber dennoch in die Irre führen, wenn sie – wie manche ihrer Vordenker behaupten – jeweils als alleinseligmachende Strategie gegen die jeweils anderen beiden Strategien in Stellung gebracht werden.

Prof. Dr. habil. Ralf Isenmann: „Ein gerechter und ko-evolutionärer Austausch mit der Natur ist möglich.“
Der Diskurs um die Rolle des technischen Fortschritts und des wirtschaftlichen Mengenwachstums stehen im Zentrum der Nachhaltigkeitsdebatte. Vor allem die Bionik auf der technischen Seite und die Organisation der Wirtschaft in Analogie zu natürlichen Stoffkreisläufen, so wie sie in der Industrial Ecology als Zielidee gilt, werden als Hoffnungsträger diskutiert. Dr. habil. Ralf Isenmann ist Professor für Nachhaltiges Zukunftsmanagement, Hochschule München, und Privatdozent an der Universität Bremen, mit den Schwerpunkten Nachhaltigkeitsmanagement, v.a. Sustainability Reporting und Industrial Ecology. Er wird sich in Siegen mit Grundrissen eines neuen, als biophil ausgelegten Naturverständnisses und dessen  Konsequenzen für das Naturverhältnis – v.a. im Umgang mit der Natur in der Ökonomie - auseinandersetzen. Seine Vision: von den als vorbildlich erachteten Innovationsquellen der Natur zu lernen: von ihren smarten Phänomenen, von den evolutionär erprobten Strategien im Umgang mit Stoff, Energie, Information, Raum und Zeit sowie von ihren funktionalen Grundprinzipien. Er will die bisher eher eng geführten, analytisch geprägten „Managementregeln nachhaltigen Wirtschaftens“ in ko-evolutionäre Strategien der Entscheidungsfindung und Leistungserbringung bzw. Organisation überführen.

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