Ich bin die Oder, die Oder bin ich! Ist die Oder eine Person? Eine Rechtsperson?

In den letzten Jahren ist in Polen eine bedeutende Bürgerbewegung für den Schutz der Oder gewachsen. Diese Bewegung macht auf die schwierigen ökologischen Bedingungen des großen europäischen Flusses aufmerksam, dessen Zustand durch menschliche Eingriffe zunehmend gefährdet ist. 2023 organisierte die „Bewegung für die Rechte der Oder“ den „Odermarsch“. Eine friedliche Demonstration, um auf die Bedrohungen durch geplante Ausbauarbeiten und die Verschmutzung des Flusses hinzuweisen.
Trotz gerichtlicher Anordnungen und wachsender Kritik von NaturschützerInnen an den Ausbauarbeiten auf der polnischen Seite wird die Oder noch immer als wasserwirtschaftliches Projekt behandelt, was zu weiteren Schäden führt. Doch die Rechte-für-die-Oder-Bewegung hat nun einen wichtigen Schritt unternommen: Sie hat einen Gesetzesentwurf im Internet veröffentlicht, der von Bürgerinnen unterstützt werden kann.
Die Rechte der Oder
Was soll der Gesetzesentwurf bewirken?
Der Gesetzentwurf, der von Prof. Jerzy Bieluk, Dr. Stanisław Kordasiewicz und Robert Rient erarbeitet wurde, sieht vor, dem Oderfluss eine Reihe fundamentaler Rechte zuzuerkennen, die als Grundlage für den langfristigen Schutz und die nachhaltige Nutzung des Flusses dienen sollen. Diese Rechte umfassen:
- Das Recht zu existieren: Der Fluss soll als lebendiges Wesen anerkannt werden, das ein Recht auf Erhalt und Schutz hat.
- Das Recht, frei zu fließen: Kein Eingriff soll den natürlichen Fluss des Wassers beeinträchtigen.
- Das Recht, sich als Ökosystem natürlich zu entwickeln: Der Fluss soll seine natürlichen ökologischen Prozesse frei entfalten können.
- Das Recht, die Funktionen zu erfüllen, die innerhalb des Ökosystems notwendig sind: Der Fluss soll in der Lage sein, die notwendigen ökologischen Aufgaben zu erfüllen, etwa bei der Regulierung des Wasserhaushalts und der Erhaltung von Lebensräumen.
- Das Recht, seine einheimische Artenvielfalt zu erhalten: Die Artenvielfalt, die in und um die Oder existiert, soll geschützt und erhalten werden.
- Das Recht, seine Ressourcen zu regenerieren: Der Fluss soll die Möglichkeit haben, seine natürlichen Ressourcen zu regenerieren, etwa durch die Rückführung von Nährstoffen.
- Das Recht, von Grundwasserleitern und Zuflüssen gespeist und aufgefüllt zu werden: Der Oderfluss soll weiterhin Zugang zu den für seine Existenz notwendigen Wasserquellen erhalten.
- Das Recht auf Schutz vor unbefugten Eingriffen, insbesondere vor Verschmutzung: Der Fluss soll vor schädlichen menschlichen Eingriffen geschützt werden, besonders vor Verschmutzung durch Industrie und Landwirtschaft.
- Das Recht auf Entschädigung für verursachte Schäden: Sollte der Fluss durch menschliche Aktivitäten geschädigt werden, soll er Anspruch auf Entschädigung haben.
- Das Recht, sein Eigentum zu schützen: Das Eigentum des Flusses umfasst nicht nur das Wasser, sondern auch den Bodensatz, das Grundwasser und die Flora und Fauna des Ökosystems.
Der Entwurf sieht (ähnlich wie im Fall Mar Menor) den Aufbau eines Vertretungsorgans vor und ein wissenschaftliches Komitee. Sie haben den Auftrag und das Mandat, über die Wahrung der Rechte der Oder zu wachen und die Rechtsperson Oder vor Gericht zu vertreten. Die notwendigen Mittel, um diese Rechte durchzusetzen, sollen von der polnischen Regierung zur Verfügung gestellt werden. So könnte die Oder langfristig nicht nur als Fluss, sondern als ein eigenständiger Akteur im rechtlichen und politischen System wahrgenommen werden. Das Gesetz sieht vor, dass Verursacher von Schäden an der Oder haftbar gemacht werden können.
Dieser Gesetzentwurf ist ein wegweisender Schritt im Umweltschutz in Europa. Sollte das Gesetz in Kraft treten, wäre es ein Meilenstein auf dem Weg zur Anerkennung der Rechte von natürlichen Lebewesen und Ökosystemen. Die Oder könnte als erstes fließendes Gewässer in Europa eine eigene Rechtspersönlichkeit erlangen und somit als gleichwertiges „Subjekt“ in Gerichtsprozessen anerkannt werden.
Die Oder wäre somit das zweite Gewässer in Europa, dem Rechte zugesprochen werden. Laut dem Gesetz 19/2022 sind die Salzwasserlagune Mar Menor und ihr Wassereinzugsgebiet bereits als Rechtssubjekte anerkannt und genießen Rechte auf „Schutz, Erhaltung, Pflege und gegebenenfalls Wiederherstellung durch die Regierungen und die AnwohnerInnen.“
Weiterführende Links
Hier geht’s zur Unterstützung des Gesetzesentwurfs.
Zudem steht ein Videoaufruf zur Verfügung (polnisch). Sie Können die Untertitel automatisch generieren lassen und so das Video mit deutschen Untertiteln ansehen.