(Herausgegeben von Gavin Van Horn, Robin Wall Kimmerer und John Hausdoerffer)
Warum wir über Verbunden Sein schweigen und dieses Buch nicht
Wir reden oft über Verbindungen, ob gute oder schlechte, meist beim Internet oder Mobilfunk. Doch über Verbunden Sein reden wir fast nie. Sich über das Verbunden Sein Gedanken zu machen, ist davon noch einmal eine Ausnahme. Und doch ist schon jedes Buch ein Verbunden Sein. Man ist mit dem Autor oder der Autorin verbunden. Man ist mit dem Verlag und den Menschen verbunden, die an diesem Buch gearbeitet haben. Wer macht sich darüber Gedanken?
Dieser zweite Band aus der fünfbändigen Serie des W_orten und meer Verlages gibt sich den Orten hin und dem Verbunden Sein. Er erzählt lebendige Geschichten. Es sind keine aufgewärmten Erzählungen über dieses oder jenes Ereignis, keine willkürlichen Begegnungen oder belanglosen Beobachtungen. Es sind Verbindungsangebote für alle Lesenden, die bereit sind, Zeit und Raum zu überwinden und sich von jenem Etwas berühren, ansprechen, verbinden zu lassen, das aus der lebendigen Druckerschwärze zu uns sprechen möchte. Ein Etwas, das uns in die Welt eines unbekannten Freundes, einer unbekannten Freundin mitnimmt, weil es unser Leben bereichern kann.
Indigene Stimmen. Wenn Rechte der Natur zur Selbstverständlichkeit werden
Die Lesenden sind eingeladen, das Verbunden Sein zu spüren in einer meditativen Erzählweise, die Berührung zulässt. Dieses Buch ist aus meiner Sicht ein Sensibilisierungsmeter, das den Lesenden ermöglicht, die eigene Art und Intensität des mitfühlenden Verbunden Seins zu erspüren. Gleichzeitig stellen die Texte der Mitteilenden immer wieder die unausgesprochene Frage: Welches Orts Verbunden Sein tragen die Lesenden in sich?
Die Texte stammen von indigenen Menschen und ihren Orten des Verbunden Seins. Dabei wird deutlich: Für viele von ihnen sind die Rechte der Natur kein abstraktes Konzept, sondern gelebte Realität, eine Selbstverständlichkeit, die ihr Verhältnis zu Flüssen, Bergen oder Wäldern prägt. Wenn ein Fluss als Rechtsperson anerkannt wird wie in Neuseeland oder Ecuador, dann ist das kein rein juristischer Akt, sondern die Bestätigung einer jahrtausendealten Beziehung. Man spürt beim Lesen, dass niemand von ihnen jemals in der Lage gewesen wäre zu schreiben ohne den Ort. Die Kraft des Ortes findet in den Buchstaben, Wörtern, Zeilen und Sätzen ihren Ausdruck. Für mich ist diese Transformation aus der Sprache der Schreibenden ins Deutsche der Beweis, dass auch die Übersetzenden als Medium in der Lage waren, diese Sphären sprachlich zu transportieren. Martin Buber hat seine Übersetzung des Alten Testaments nicht als Übersetzung bezeichnet, sondern als Übertragung. Und eine derartige Übertragung ist auch dieses Buch.
Von der Asche auf dem Berg zur Prärie im Industriegebiet. Orte, die uns verändern
Die Inspirationen, so möchte ich die Texte dieses Sammelbandes nennen, stammen aus verschiedenen Teilen der Erde, von Orten, die uns etwas mitzuteilen haben. Es sprechen verschneite Berge, die an Silvester die Asche eines Verstorbenen aufnehmen wollen und sollen, und die Suche nach dem resonierenden Ort für diese Aufnahme. Es kommt ein Industriegebiet zur Sprache, das sich wieder in eine Prärie entwickeln möchte und dafür indigene Menschen und ihre Freunde angesprochen hat, ihr zu helfen. Hier zeigt sich: Die Rechte der Natur sind für indigene Gemeinschaften kein politisches Programm, sondern eine Frage des Überlebens und der Würde. Wenn ein Ökosystem wie die Prärie zurückkehrt, dann nicht aufgrund von Gesetzen, sondern weil Menschen ihm zuhören und handeln. Am Ende steht ein Gespräch zwischen zwei Menschen über ihr Orts Verbunden Sein von den Quanten bis zum Kosmos.
Ein Mosaik, das uns fehlt und das wir selbst ergänzen können
Für mich ist dieses Werk eine tiefe Einladung in eine Welt, die in uns steckt. Diese Welt im Inneren zu entdecken und über jede Grenze hinweg schrankenlos zu erleben, zeugt von dem, was der rein rationalen Welt unseres Gesellschaftssystems fehlt und was mit der Aufklärung verloren ging. Die achtzehn Beiträge sind Mosaiksteinchen für ein anderes Bild der Welt, einer lebendigen Welt. Die Lesenden sind dazu eingeladen, ihre eigenen Orts Verbunden Sein Steinchen beizutragen, um dieses Bild lebendiger und vollständiger zu machen.
Es ist ein Buch zum Einlassen und zum Gefühl, nicht verlassen zu sein. Ein Buch, das verbindet, obwohl oder gerade weil tausende Kilometer zwischen den Orten liegen. Ein kleines Buch, das uns daran erinnert: Rechte der Natur beginnen nicht im Gerichtssaal, sondern im Zuhören, einem Ort, einer Stimme, einer Beziehung.