Buchbesprechung

Grüner Kolonialismus

von Helmut Scheel

KONTAKT

Netzwerk Rechte der Natur e.V.

Helmut Scheel

helmut.scheel@rechte-der-natur.de

Mehr über Helmut erfahren

Helmut Scheel liest aus „Grüner Kolonialismus“, einer kritischen Analyse von Macht, Klimapolitik und globaler Gerechtigkeit.

Grüner Kolonialismus Hrsg. von Miriam Lang, Mary Ann Manahan und Breno Bringel

Wir glauben, der Kolonialismus gehöre der Vergangenheit an. Doch dieses Buch beweist: Er trägt heute nur einen grünen Anstrich. 25 Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Disziplinen legen schonungslos offen, was im globalen Norden gern verschwiegen wird: Die Energiewende, die uns als Rettung des Klimas verkauft wird, perpetuiert alte Machtstrukturen und schafft neue Abhängigkeiten. „Grüner Kolonialismus“ ist kein alarmistischer Begriff, sondern eine nüchterne Bestandsaufnahme.

Das Buch zeigt, wie internationale Organisationen wie WTO, IWF und Weltbank bis heute von Industrieländern dominiert werden und Länder des globalen Südens in ein System der Ausbeutung zwingen. Die Nationalstaatsgrenzen, die einst mit dem Lineal über ethnische und kulturelle Realitäten hinweg gezogen wurden, wirken bis heute nach. Während die Conquistadores einst Silber und Gold raubten, sind es heute Lithium, Kobalt und Kupfer dazugekommen und vor allem die Kontrolle über Land und Ressourcen im Namen des Klimaschutzes. Christian Dorninger bringt es auf den Punkt: „Die monetären Abflüsse in Preisen des Nordens übersteigen die Entwicklungshilfe um das 86-Fache“ (S. 128). Der sogenannte Trickle-Down-Effekt entpuppt sich als pervertierte Umverteilung von unten nach oben.

Ein besonders eklatantes Beispiel ist die Wasserstoffstrategie der EU. Im Rahmen des Green Deal soll in der Sahara großflächig Wasserstoff für den europäischen Markt produziert werden, auf Vorschlag des Branchenverbands Hydrogen Europe. Wie Hamaza Hamouchen beschreibt, werden dafür Flächen als „leer“ deklariert, obwohl Hirten- und Bauernvölker seit Generationen von ihnen leben. Ihnen wird nicht nur die Lebensgrundlage entzogen, sondern auch das knappe Wasser, das für die Reinigung von Solaranlagen abgepumpt wird und die Verwüstung beschleunigt. Klimaschutz? Oder neokoloniale Landnahme?

Doch das Buch bleibt nicht bei der Kritik stehen. Es zeigt auch, wie Widerstand aussieht. Farida Akhter berichtet vom „Nayakrishi Andolon“ in Bangladesch, einer von Frauen getragenen Bewegung, die über 2.700 traditionelle Reissorten sammelte; eine genetische Vielfalt, die Bäuerinnen gegen die Abhängigkeit von Agrarkonzernen und gentechnisch manipulierten Sorten wie Golden Rice einsetzen. Hier wird klar: Die Lösungen für die Klimakrise liegen oft dort, wo wir sie am wenigsten suchen – im Wissen und in den Praktiken derer, die am stärksten von ihr betroffen sind.

Ein zentrales Thema des Buches ist die Doppelte Entrechtung: Sowohl indigene Gemeinschaften als auch die Natur selbst haben kaum Rechte. Beide werden ausgebeutet, weil sie als „verfügbar“ gelten. Die Forderung nach Rechten für indigene Völker und Rechte der Natur ist daher kein idealistischer Traum, sondern eine Notwendigkeit für globale Gerechtigkeit.

In 18 Kapiteln deckt das Buch ein breites Spektrum ab, von Rohstoffabbau über Handelsabkommen bis zu alternativen Wirtschaftsmodellen. Wer bereit ist, hinter die grüne Fassade der Energiewende zu blicken, wird hier fündig. Die Stärke des Buches liegt in seiner Vielfalt: Es vereint Analysen, Erfahrungsberichte und konkrete Handlungsvorschläge, die in dieser Form selten zu finden sind.

Mein Fazit: Wenn wir Natur, Klima und Menschheit eine lebenswerte Zukunft sichern wollen, müssen wir unser Denken radikal ändern. Es ist nicht der globale Süden, der sich „entwickeln“ muss, wir im Norden sind es, die von ihm lernen müssen. Statt seine Rohstoffe zu plündern, brauchen wir sein Wissen, seine Resilienzstrategien und seine andere Beziehung zur Natur. Vielleicht sollten wir endlich aufhören, von „Entwicklungsländern“ zu sprechen und stattdessen fragen: Wer entwickelt hier eigentlich wen? Im globalen Norden liegen die modernen Entwicklungsländer.

Wer dieses Buch liest, wird die Debatte um Klimapolitik mit anderen Augen sehen. Es ist Pflichtlektüre für alle, die verstehen wollen, warum Gerechtigkeit der Schlüssel zur ökologischen Wende ist.

 

 

KONTAKT

VORSTÄNDIN NETZWERK RECHTE DER NATUR E.V

Christine Ax

+49 ​(0) 151 ​26691150

Übersicht anzeigen

Verwandte Artikel

Buchcover „Erd verbunden sein“ aus dem Verlag w_orten & meer neben dem Porträt von Helmut Scheel. Hände halten eine kleine Pflanze, Sinnbild für Achtsamkeit, Erdverbundenheit und die Rechte der Natur.

Buchbesprechung

Erd verbunden sein

Der erste Band der Reihe verbunden sein aus dem w_orten & meer Verlag soll uns erden. Siebzehn Beiträge von den unterschiedlichsten Menschen stellen die Lesenden vor Fragen und geben persönliche Einblicke in das Erderleben.

Weiterlesen …

Moosbedeckter Baum, Buchcover „Ort verbunden sein“ und Porträt von Helmut Scheel. Bild für gelebte Rechte der Natur und die Verbundenheit zwischen Mensch und Ort. Foto: Patrick Schulz, Pixabay.

Buchbesprechung

Ort verbunden sein. Ein Buch über gelebte Rechte der Natur

Ort verbunden sein“ ist mehr als ein Buch. Es ist eine Einladung, die Welt als lebendiges Gegenüber zu spüren. Indigene Stimmen aus Neuseeland, Ecuador und anderen Teilen der Erde erzählen von Orten, an denen die Rechte der Natur selbstverständlich gelebt werden. Ein poetisches Werk über Zuhören, Beziehung und die Kraft des Verbunden Seins.

Weiterlesen …

Cover der politischen ökologie „Rechte der Natur – Zwischen Gesetzestext und neuem Weltverständnis (Band 182)“ vor einem Wald mit aufgehender Sonne im Hintergrund

politische ökologie, Fachzeitschrift oekom

Rechte der Natur – Zwischen Gesetzestext und neuem Weltverständnis  

Die neue Ausgabe von Politische Ökologie widmet sich den Rechten der Natur und ihrer Umsetzung zwischen Gesetzestext und neuem Werteverständnis. Elf Beiträge zeigen, wie ökologische Krisen und soziale Ungerechtigkeiten durch Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt effektiv angegangen werden können.

Weiterlesen …

Hochformat-Foto eines Flusses von Hans-Ulrich Zabel. Helmut Scheel sitzt rechts unten und liest das Buch „Sind Flüsse Lebewesen?“. Kräftige Halftone-Farben und grafische Akzente.

Buchbesprechung

Sind Flüsse Lebewesen

Robert MacFarlanes Buch „Sind Flüsse Lebewesen“ ist mehr als eine Reisebeschreibung: Es verknüpft physische Flüsse mit inneren Erfahrungen, stellt die Frage nach der Lebendigkeit der Natur und macht deutlich, warum Flüsse als Rechtssubjekte geschützt werden sollten. Ein poetisches Sachbuch, das Denken und Fühlen verbindet.

Weiterlesen …

Beim Lesen von „Der Grund“ erscheint Helmut Scheel  vor einem farbigen Hintergrund mit Schmetterlingsmotiv. Eine Gedankenblase neben ihm zeigt zentrale Schlagworte aus dem Buch: „Bodenlose …“, „Guter Vorfahre“, „Geerdete Gesellschaft“, „Rechte der Natur“.

Buchbesprechung

„Der Grund“ Die neuen Konflikte um unsere Böden – und wie sie gelöst werden können

Wie gehen wir mit dem Boden um, der uns nährt? Die Autorinnen Tanja Busse und Christiane Grefe zeigen in „Der Grund“, was auf dem Spiel steht – und wie Hoffnung entsteht. Eine eindrucksvolle Einladung, unsere Beziehung zur Erde neu zu denken – fundiert, zugänglich und tief bewegend.

Weiterlesen …

Das Bild, generiert durch KI, zeigt ein brennendes Zündholz als Symbol für die Erde. Der Hintergrund in dunklen Tönen wird von flimmernden Flammen im Bokeh-Stil erleuchtet, was die Dramatik der Klimakrise visuell unterstreicht.
Foto: Collage, KI generiert (ChatGPT&Photoshop)

Buchbesprechung

„Brennende Erde“: Sunil Amrith fordert einen neuen Umgang mit der Natur

In „Brennende Erde“ entführt Sunil Amrith seine LeserInnen auf eine Zeitreise durch 500 Jahre Menschheitsgeschichte und zeigt, wie unser Streben nach Wohlstand und Freiheit mit der Zerstörung der Natur einherging. Er fordert einen radikalen Wandel im Verhältnis zur Umwelt und plädiert für globale Gerechtigkeit, nachhaltige Praktiken und ein neues Bewusstsein. Ein Buch, das nicht nur warnt, sondern auch Hoffnung auf Veränderung gibt.

Weiterlesen …

Symbolbild zur Diskussion über das Nature Capital Project: Erde, Geldmünzen und eine Pflanze, die auf einem Geldberg wächst
Die Balance zwischen Ökonomie und Ethik? Das Nature Capital Project sucht nach Wegen, Natur und Umweltgerechtigkeit sowie wirtschaftliche Betrachtungen zu vereinen.

Essay

Kann das Nature Capital Project die richtige Balance zwischen Ökonomie und Ethik finden?

Natur ist unbezahlbar, doch wirtschaftliche Argumente spielen eine wichtige Rolle. Wie kann das Nature Capital Project der Universität Stanford helfen, die Natur als Eigenwert anzuerkennen und gleichzeitig ökonomische Betrachtungen sinnvoll einzubeziehen? Entdecken Sie einen möglichen Weg, der beide Perspektiven miteinander vereint.

Weiterlesen …

Üppiger, grüner Regenwald mit dichtem Blätterdach. Foto: Kanenori auf Pixabay
Üppiger, grüner Regenwald mit dichtem Blätterdach. Foto: Kanenori auf Pixabay

Petition

Solidarität mit den Rechten des Yasuní-Regenwaldes und der Waorani

Am 27.02.2025 unterstützten wir als Netzwerk Rechte der Natur den Protestbrief der Waorani in Ecuador. Sie fordern das Ende der Erdölförderung in ihrem Territorium im Yasuní-Regenwald. Trotz eines Volksentscheids für den Stopp bleibt die Regierung untätig.

Weiterlesen …